Das E-Mail-Magazin

ausgabe 07/ Mai 2021

 

 
 

 

01 EDITORIAL

Jacken wie Hosen

von Björn Eichstädt

Unsere Leser werden zahlreicher und treten auch immer häufiger mit uns in Kontakt. Per E-Mail, aber auch in den sozialen Netzwerken. Gerade über Hinweise auf interessante japanische Unternehmen freuen wir uns dabei besonders. Und so kam der Verweis auf YKK, das Unternehmen, das wir in dieser Ausgabe ausgiebig vorstellen, auch tatsächlich über einen Kommentar bei LinkedIn zu uns.

YKK kannte ich persönlich bisher nur aus Japan. Als Unternehmen, das auch Fenster herstellt. Umso überraschter war ich bei der Vorbereitung auf das Interview des weltweit führenden Unternehmens für Reißverschlüsse, als ich an fast allen meiner Kleidungsstücke YKK-Reißverschlüsse entdeckte: Jacken wie Hosen. Ein Hidden Champion im wahrsten Sinne des Wortes. Und damit ein Unternehmen, über das es für uns im Gespräch mit dem Deutschland-Verantwortlichen Andreas Brandenburger viel Neues zu erfahren gab. Wir hoffen, auch für unsere Leser sind interessante Erkenntnisse im zentralen Interview von J-BIG Nr. 7 zu gewinnen.

Hier steht eine Beschreibung des PhotosIn den nächtlichen Straßen von Tokyo trägt Björn Eichstädt Business-Kleidung – und vermutlich mindestens einem Reißverschluss von YKK

Darüber hinaus findet sich auch in dieser Ausgabe ein Sponsorenbeitrag des Swiss Business Hub Japan (SBHJ), das uns bereits zum sechsten Mal als Sponsor unterstützt. Diesmal erklärt uns Claudio Mazzucchelli vom SBHJ, warum die Schweiz generell ein spannender Innovationsort für japanische Unternehmen ist und wie das SBHJ dabei helfen kann, erste Schritte im Alpenland zu gehen.

Schließlich haben wir für Sie noch einen kleinen Beitrag zu einem Interview mit dem Gründer des japanischen Roboter-Start-ups Yukai Engineering, das wir für unseren Medienpartner, das Innovationsmagazin 1E9 geführt haben. Und eine kurze Kritik zum zuletzt auf Deutsch erschienenen Buch „Frag Iwata“ über den ehemaligen Nintendo-CEO. Wir freuen uns hier über zwei weitere Verlosungsexemplare, die uns freundlicherweise der Münchner FinanzBuch Verlag für unsere Leser zur Verfügung gestellt hat. 

Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre!

 

 
 

 

02 DEEP DIVE

„Ein Reißverschluss fällt erst dann auf, wenn er klemmt“

von Björn Eichstädt und Nina Blagojevic

Wann haben Sie sich einen Reißverschluss zum letzten Mal genau angesehen? Für Andreas Brandenburger, als Vertriebs- und Marketing-Leiter bei YKK für das Deutschlandgeschäft zuständig und seit über 30 Jahren im Unternehmen, gehört das zum Arbeitsalltag. Im Interview mit J-BIG macht er klar: Es gibt einiges zu entdecken. Ein Gespräch über Qualität, Innovation, und japanische Philosophie, das unseren Blick auf einen alltäglichen Mechanismus verändert hat.

J-BIG: Herr Brandenburger, gleich zu Beginn: Wie ist eigentlich die korrekte Aussprache von „YKK“ im deutschen Kontext?

Andreas Brandenburger: Wir möchten hierzulande primär als deutsches Unternehmen wahrgenommen werden – wir sichern deutsche Arbeitsplätze, wir produzieren in Deutschland und kümmern uns um deutsche Bedarfe. Deshalb reden wir hierzulande eher von “Ypsilon Kah Kah”. Aber wie alle Unternehmen werden auch bei uns die Geschäftsbeziehungen internationaler, und so fasst auch in Deutschland die internationale Bezeichnung “YKK” in englischer Aussprache langsam Fuß.

Manche Kunden der ersten Stunde kennen uns sogar noch unter dem Namen „Yoshida“, dem Namen unseres Gründers, und sprechen uns auch heute noch so an. Aus meiner Sicht ist auch das eine gewisse Auszeichnung, dass wir über einen so langen Zeitraum enge Kundenkontakte halten konnten.

Andreas Brandenburger, Vertriebs- und Marketing-Leiter bei YKK Deutschland vor der Zentrale in Mainhausen. / Fotostrecke: Gina Gorny und Naomi Kotani

J-BIG: Wie ist YKK als Gesamtkonzern aufgestellt?

Andreas Brandenburger: Auf die Frage, was YKK eigentlich macht, antworte ich immer bewusst banal: “Wir machen Reißverschlüsse”. Wenn die Leute dann in ihre Kleiderschränke schauen und sehen, dass unsere Reißverschlüsse in vielen ihrer Hosen und Jacken eingenäht sind, ist das oft ein Aha-Erlebnis. Gerade im Bekleidungsbereich sind wir auf dem Weltmarkt ganz vorne mit dabei.

In Deutschland ist das tatsächlich der Fokus unserer Aktivitäten, aber global macht das Reißverschlussgeschäft etwa 40 Prozent unseres Umsatzes aus. Der Rest sind hauptsächlich Architektur-Produkte: Fassadenelemente, Fenster, Türen, Vorgärten, Wintergärten. In Tokyo steht sogar ein YKK Building, dort kann man viele unserer Architektur-Produkte live bewundern. Mit diesem Geschäftsbereich sind wir in Asien und Nordamerika sehr stark, in Europa kennt allerdings fast niemand dieses Standbein von YKK – es gibt hier auch keinen eigenen Vertrieb dafür. In Japan und den USA werden Wolkenkratzer oder Hochhäuser sehr standardisiert gebaut, während es in Europa oft eher üblich ist, dass man sich jedes Fenster einzeln konfektionieren kann. Das ist natürlich eine Hürde für den Markteinstieg. Trotzdem haben wir 2017 eine deutsche Dependance für den Bereich eröffnet, um den europäischen Markt zu studieren.In unserem deutschen Hauptgeschäft sind wir dagegen schon lange aktiv. In der Gruppe  bauen wir unsere eigenen Maschinen, beispielsweise für die Herstellung von Reißverschlüssen. Es gibt fast keine Lieferanten, die solche Maschinen produzieren, aber sie sind ein wichtiger Faktor für die Qualität. Bei Jeans-Reißverschlüssen aus Metall kommt es beispielsweise darauf an, wie filigran die technischen Abstände sind, damit beim Schneiden kein Grat entsteht und die Reißverschlüsse nicht scharfkantig sind. Um hier die Kontrolle über die Qualität zu haben, bauen wir die Maschinen einfach selbst.

Fenster und Reißverschlüsse – Björn Eichstädt erkundet das Produktportfolio von YKK

J-BIG: Worauf kommt es bei einem guten Reißverschluss an – und ist dieser ein Qualitätsmerkmal für Kleidung?

Andreas Brandenburger: Wir sind keine Marke, die in der ersten Reihe steht – Sie kaufen Ihre Hose nicht, weil diese einen Reißverschluss von YKK hat. Beim Endkunden sind wir deshalb nicht immer präsent oder sichtbar. Allgemein kann man wohl sagen: Ein Reißverschluss fällt erst dann richtig auf, wenn klemmt. Solange er einwandfrei läuft, denken Sie als Endkunde vermutlich gar nicht viel darüber nach, und so sollte es auch sein. Ein qualitativ hochwertiger Reißverschluss ist anwenderfreundlich und verursacht keine Probleme – weder in der Verarbeitung beim Bekleidungproduzenten noch in der Anwendung beim Endkunden.

Welche Anforderungen ein Reißverschluss konkret erfüllen muss, hängt davon ab, wofür er verwendet wird. Reißverschlüsse unterteilen sich in drei Produktkategorien: Erstens gibt es Kunststoff-Spiralen, wie Sie sie von Stoffhosen, Schuhen oder auch Zelten kennen. Auch Arbeitskleidung und Matratzen haben üblicherweise diese Art von Reißverschluss. Zweitens produzieren wir Metall-Reißverschlüsse – diese kommen beispielsweise in Parkas oder auch in Jeans zum Einsatz. Solche Jeans-Reißverschlüsse sind unser bekanntestes Produkt, und in den Medien gibt es immer mal wieder einen Beitrag zur Frage “Warum steht YKK auf dem Reißverschluss?” Die dritte Art von Reißverschluss kennen Sie aus der Kinder- und Sportbekleidung: Kunststoffzahn-Reißverschlüsse. Im Prinzip sind das in Form gespritzte Kunststoff-Zahnketten, die durch ihre spezielle Form gewisse Eigenschaften bekommen, die für diese Anwendungsfelder oder in der Optik von Vorteil sind.

Jede dieser drei Kategorien hat eigene Anforderungen und Qualitätskriterien. Nehmen Sie zum Beispiel eine Spirale in sechs Millimetern Breite: Einen solchen Reißverschluss finden Sie in Schuhen, Berufsbekleidung oder auch den Beuteln von Laubsaugern. Jeder dieser Anwendungsfälle hat ein bestimmtes Anforderungsprofil, aber in dem Moment, in dem wir den Reißverschluss herstellen, wissen wir leider meist noch nicht, was der Kunde damit machen möchte. Unser Anspruch ist es daher, das Produkt so herzustellen, dass es potenziell multiple Einsatzszenarien hat. Das ist einerseits von Vorteil für unsere Kunden und gibt uns andererseits die Möglichkeit, das Produkt global zu verkaufen, ohne uns über technische Normen in einzelnen Märkten Gedanken machen zu müssen. Unsere Normwerte liegen teilweise deutlich über der lokalen DIN– damit sind wir immer auf der sicheren Seite und können höchste Qualität garantieren. Tatsächlich haben wir viele der aktuellen Qualitätsstandards für uns selbst definiert.

Nina Blagojevic und Andreas Brandenburger ergründen, was einen guten Reißverschluss ausmacht

J-BIG: Was wird denn in solchen Normwerten festgelegt?

Andreas Brandenburger: Es werden praktische Anwendung nachgeahmt. Als erstes wird eine Größe festgelegt, damit sowohl der Industrie-Anwender als auch der Verbraucher eine Übersicht hat, welche Produkte es im Markt gibt. Seit 2016 gibt es eine neue europäische Norm, die Reißverschluss-Produkte bestimmten Kategorien zuordnet. Je nach Kategorie bestehen andere Ansprüche an die technischen Werte.

Bei einer Jacke muss beispielsweise das Teilbarkeitselement – das ist das eckige Teil unten am Reißverschluss – bestimmte Stabilitätstests bestehen. Bei Kinderbekleidung oder einem Kinderschlafsack ist die Abreißfestigkeit des Griffs von absolut zentraler Bedeutung. Wenn Kinder diesen Griff abreißen können und zum Beispiel verschlucken, kann das für die Gesundheit und die Produkthaftung gefährlich werden. Andere Aspekte sind Querreißfestigkeit, die Festigkeit des Stoppers und so weiter.

Qualitätsunterschiede ergeben sich auch daraus, mit welcher Sorgfalt an die Herstellung herangegangen wurde, welche Materialien eingesetzt werden und welchen Anspruch die Produzenten und Anwender an den Gebrauch der Verschlüsse stellt. Das Spektrum der Beanspruchung ist vielfältig und reicht von Gebrauchshäufigkeit, Witterungseinflüssen, Verschmutzung undTemperaturfestigkeiten bis zu Reinigungsprozessen.

J-BIG: Wie stellt YKK diese hohe Qualität bei der Verarbeitung sicher?

Andreas Brandenburger: Ein wichtiger Faktor sind hier sicherlich unsere eigenen Maschinen. Ein gutes Beispiel sind nahtverdeckte Reißverschlüsse bei Kleidern. In diesem Fall läuft der Reißverschluss über 40, manchmal sogar über 60 Zentimeter den Rücken hoch. Bei der Produktion wird die Spirale in der Länge des intendierten Reißverschlusses abgeschnitten. Wenn man das nicht filigran genug macht, bleibt ein wenig Spirale übrig, die der Trägerin dann in den Rücken piekst oder kratzt. So ein unangenehmes Tragegefühl kann einem auch das schönste Kleid verderben. Setzt man aber am oberen Ende des Reißverschlusses einen Plastik-Stopper ein, der das Spiralende abdeckt kann man dieses Problem umgehen. Um sicherzustellen, dass das Ende der Spirale wirklich immer unter diesem Stopper verschwindet, braucht es allerdings hohe Standards und sehr hochwertige,fein kalibrierte Maschinen.

Dieser kleine, aber feine Unterschied ist für den Endnutzer – in diesem Fall die Käuferin des Kleides – optisch gar nicht sichtbar, aber für den Tragekomfort macht er einen riesigen Unterschied.

Erfahrungsaustausch per Videochat: Andreas Brandenburger über Plastik-Stopper und Moskitonetze

J-BIG: Abgesehen von Kleidungsstücken – wo könnten Leser noch auf Reißverschlüsse von YKK treffen?

Andreas Brandenburger: Das Spektrum ist sehr vielfältig – von Matratzen über Zelte bis hin zu Moskitonetzen. Wir stellen auch spezielle wasserfeste Reißverschlüsse her, die Sie in Bootsplanen ebenso finden wie an. Taucheranzügen. Wo immer Sie wasserdichte Materialien einsetzen, ist es wichtig, dass der Reißverschluss nicht zur Schwachstelle wird.

In Deutschland ist auch der Bereich Reisegepäck ein wichtiges Standbein. Hier sind wir auch mit sehr individuellen Lösungen stark aufgestellt. Und dann haben wir noch einen Reißverschluss mit Flammbarkeitsklasse und ein schwer entflammbares Meta-Aramid-Trägerband entwickelt – das kommt unter anderem im Automobilbereich oder in Schutzbekleidung zum Einsatz. In Kopfstützen etwa, oder in Sitzbezügen und der Abdeckung von Airbags. Für den Fahrer ist oft gar nicht ersichtlich, an wie vielen Stellen im Auto Reißverschlüsse in der ein oder anderen Form zum Einsatz kommen.

Wenn wir den Bereich etwas weiter fassen und auch andere Arten von Verschlüssen in den Blick nehmen, gibt es noch mehr Beispiele. Haftverschlüsse, oder Klettbänder, sind ein wachsendes Segment für uns: Hier sind wir bei Behördenkleidung ebenso vertreten wie bei Windeln. Dann gibt es noch spezielle Kunststoffprodukte, wie D-Ringe, Kordel-Stopper oder Karabiner-Haken, mit vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel in der Zeltindustrie für Sturm-Abspannungen.

Zum Artikelsortiment von YKK gehört auch die Artikelgruppe Metallverschlüsse. Für Deutschland erfolgt die Produktion und der Verkauf des Produktsortimentes Druckknöpfe, Ösen und Nieten durch das eigenständige Schwesterunternehmen YKK STOCKO FASTENERS GmbH in Wuppertal.

J-BIG: Bietet ein Produkt wie ein Reißverschluss überhaupt noch echtes Innovationspotenzial? Oder geht es eher um kontinuierliche Verbesserung?

Andreas Brandenburger: Beides. Eine echte Revolution für uns war beispielweise der Einstieg in den Bereich Sonnenschutz vor circa zehn Jahren. Hier bieten wir zum Beispiel Reißverschlüsse für Rollos, Markisen oder auch Rolltore an. Dieses Jahr ist die R+T Messe für Rollladen, Tore und Sonnenschutz leider ausgefallen, aber als wir vor drei Jahren das erste Mal dort waren,war der Zulauf unerwartet groß. Denn die Anforderungen an einen Reißverschluss für so eine Anwendung sind nicht trivial. Hier haben wir in Verarbeitungstools investiert, und heute beobachten wir in diesem Segment ein Wachstum von etwa 20 Prozent pro Jahr. Wir sind als Firmengruppe außerdem seit 15 Jahren sehr stark auf der ISPO vertreten und haben dort vor einer Weile Reißverschlüsse vorgestellt, bei denen die Reißverschlusselemente direkt auf das Laminat der Jacke aufgenäht wurden. Der Vorteil an dem Produkt ist, dass das textile Reißverschlussband entfallen kann. Dieses Projekt haben wir zusammen mit der Firma Gore auf den Weg gebracht.

Ein Beispiel für eine Weiterentwicklung hatten wir, als vor einigen Jahren der Eurofighter an den Start ging – hier haben wir die Piloten-Bekleidung mitentwickelt. Aufgrund der G-Kräfte, denen die Flieger ausgesetzt sind, brauchen diese spezielle Anzüge, die bis zu 9G aushalten. Wir haben Reißverschlüsse entwickelt, die diesen Belastungen Stand halten und eine enorme Bruchlast aushalten. Ein zweiter wichtiger Faktor sind die Panikkräfte: Stellen Sie sich vor, ein Anzug steht in Flammen und der Pilot versucht panisch, seinen Anzug zu öffnen. Die Gefahr ist groß, dass er dabei die Griffplatte abreißt und sich der Anzug gar nicht mehr öffnen lässt. Hier kommen teilweise Kräfte bis zu 500 Newton, also etwa 50 Kilo,ins Spiel, die der Schieber aushalten muss. Darauf haben wir uns zunehmend spezialisiert – am Anfang ein Investment, aber heute ist die diese Art von Bekleidung ein wichtiger Markt für uns. Eines der letzten Großprojekte, das wir hier unterstützt haben, waren die neuen blauen Uniformen der bayerischen Polizei. Anfangs gab es zwar ein paar Probleme mit Hosen, die gerissen sind, aber der Reißverschluss hält bombenfest.

Was hat YKK mit der bayerischen Polizei zu tun? Andreas Brandenburger erklärt es dem J-BIG Team in München

J-BIG: Werfen wir einen Blick zurück: Wie ist die Geschichte von YKK in Deutschland?

Andreas Brandenburger: YKK Deutschland wurde 1967 gegründet, als dritte europäische Niederlassung. Die erste wurde 1965 im niederländischen Sneek gegründet. Die zweite Niederlassung in Europa war in Großbritannien, mit Headquarter in London und Produktion in Runcorn. Und dann kamen auch schon wir.

Von 1967 bis 1971 hat man mit Handelsvertretern gearbeitet und die Produkte importiert. Die Nähe zum Flughafen war daher entscheidend für die Auswahl der Standorte; unser Kundenfokus lag stark auf der Bekleidungsindustrie. Dementsprechend entstanden Standorte in Frankfurt, Mönchengladbach, Berlin, München, Bielefeld und in der Nähe von Stuttgart. 1972 wurde dann auch ein eigener deutscher Produktionsstandort für Reißverschlüsse in Weimar-Wenkbach aufgebaut und über die Jahre kontinuierlich ausgebaut.

Noch bis Mitte der 80er Jahre war bei uns der Bekleidungsanteil sehr dominierend. Wir hatten hier eine Marktdurchdringung von 25 bis 30 Prozent und haben uns auf Textil, Schuhe und Lederwaren konzentriert. Das ist letztlich auch der Grund, warum wir hier in der Nähe von Offenbach sitzen: In der Region um Offenbach und Aschaffenburg gab es zu dieser Zeit sehr viel Bekleidungsindustrie. Mitte der 80er Jahre verlagerte sich die Bekleidungsproduktion allerdings immer stärker Richtung Osteuropa, später dann auch in die Türkei, und schließlich nach Asien. Aktuell gibt es einen gewissen Trend Richtung Zentralafrika – aus Kosten, aber auch aus Umweltgründen.

J-BIG: Hatte diese Entwicklung auch wirtschaftliche Folgen für YKK in Deutschland?

Andreas Brandenburger: Trotz dieses Strukturwandels haben wir bei YKK in Deutschland keine Delle erlebt. Statt Entlassungen oder drastischen Umstrukturierungsmaßnahmen hatten wir vielmehr einen kontinuierlichen Umstrukturierungsprozess. Früher waren unsere Vertriebsbüros und auch die Lager in den Regionen, wo unsere Kunden produzierten. Aber im Bekleidungsgeschäft gibt zunehmend der LKW unseren Takt an, nicht die Näherin. Unser Geschäft lief also weiter, aber es gab keine Notwendigkeit mehr für die lokale Verfügbarkeit mit zahlreichen Niederlassungen. Nach und nach wurde hier stark zentralisiert und unsere Investitionen stärker auf technische Anwendungen und neue Kundensegmente konzentriert. Heute haben wir in Deutschland zwei Standorte: Unsere Zentrale hier in Mainhausen und die Produktion in Weimar-Wenkbach. Insgesamt sind wir etwa 250 Mitarbeiter, von denen zwei Drittel in der Produktion und ein Drittel in den anderen Bereichen arbeiten. Aktuell haben wir hierzulande eine große Variantenvielfalt in den produzierbaren Artikelgruppen, und den überwiegenden Anteil der verkauften Produkte produzieren wir in Deutschland.

Mit mehr als 30 Jahren im Unternehmen kennt sich Andreas Brandenburger mit der Geschichte von YKK Deutschland bestens aus

J-BIG: Wie hat sich dadurch ihr Kundenstamm geändert?

Andreas Brandenburger: In den 70er Jahren lagen ungefähr 80 Prozent unserer Umsatzpotenziale im Bekleidungssektor. In den 2010er Jahren lag dieser Anteil noch bei 35 bis 40 Prozent. Der Rest sind technische Produkte, wie etwa Matratzen: Das ist ein sehr voluminöses Produkt und schlecht zu transportieren; es wird deshalb Europa-nah produziert. Auch Arbeitsbekleidung, beispielsweise für Supermärkte oder Autohäuser, gehört zu diesen relativ neu erschlossenen Segmenten. Wir arbeiten hier primär für Anbieter, die Arbeitsbekleidung in einem Leasing-Modell an Unternehmen verleihen. Aber auch beispielsweise Engelbert Strauss mit seiner globaler Produktion verwendet in seinen Styles größtenteils Reißverschlüsse von YKK.

Insgesamt haben wir unseren Kundenstamm wie eine Pyramide aufgebaut. Im unteren “Economy” -Segment haben wir eine hohe Marktdurchdringung und großes Volumen, im Midsize-Segment versuchen wir, die Balance zwischen Preis und Menge zu finden, und ganz oben gibt es das Premium-Segment, mit hohem Preis und kleinem Bedarf. Der Anspruch von Kunden wie Lidl oder Aldi ist es beispielsweise, Discounter-Ware zu einem guten Preis anzubieten. Die Qualität soll zwar ansprechend sein, aber ich würde diesen Bereich trotzdem eher am unteren Teil der Pyramide orientieren. Anbieter wie C&A oder Karstadt Kaufhof bevölkern die Mitte, und im Premium-Segment finden wir dann eher Kunden wie Hugo Boss, Bogner und viele andere. Aufgrund der Vielfalt unserer Produkte ist es für uns als Unternehmen überhaupt nicht sinnvoll, uns auf ein einzelnes Segment zu beschränken. Wir nehmen jeden Kunden und seine Bedürfnisse individuell in den Fokus.

J-BIG: Welche Herausforderung sehen sie für die Branche?

Andreas Brandenburger: Im Bekleidungsbereich ist sicherlich das Thema Nachhaltigkeit eine zentrale Fragestellung. Vor ein paar Jahren haben wir die Marke von 10 Milliarden weltweit produzierten Reißverschlüssen geknackt – genug, um die Erde 80-mal zu umkreisen. Das ist natürlich einerseits toll, aber aus Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten durchaus problematisch.

Wir haben im Bekleidungsbereich den zweitgrößten Abfallanteil – denken Sie nur mal an Händler wie Primark, wo Ware nicht selten kurz nach der Produktion wieder ausgemustert wird. Hier wollen wir ansetzen und mit unseren Produkten so weit wie möglich zu mehr Nachhaltigkeit in der Branche beitragen. Das beinhaltet eierseits eine klimaneutrale Herstellung, und andererseits wollen wir unsere Produktgruppen auf recycelte Rohmaterialen umstellen – das geht von recyceltem Kunststoff aus Verpackungsabfällen oder aus dem Meer gefischtem Plastik bis hin zu innovativen Methoden zum Färben von Reißverschlüssen, die kein Wasser verbrauchen. Diese Initiativen haben wir in Deutschland noch nicht komplett etabliert, aber wir arbeiten an der Implementierung.

Außerdem ist es uns sehr wichtig, dass unsere Produkte keine Eintagsfliegen sind, sondern sich für den Dauergebrauch eignen. Genauso wie eine gute Jeans mit längerem Tragen immer bequemer wird, sollte auch der Reißverschluss mit der Zeit zunehmend filigraner und einfach in der Handhabung werden.

Und wenn doch mal ein Reißverschluss kaputt geht – von YKK oder einem anderen Anbieter – kann man unsere Reißverschlüsse auch im freien Handel kaufen – in Müller Märkten oder Kurzwarengeschäften zum Beispiel. Ein kaputter Reißverschluss muss kein Grund sein, ein ansonsten noch einwandfreies Produkt wegzuschmeißen. Ungefähr zehn Prozent unseres Umsatzes in Deutschland machen wir mit diesem Handelssegment.

Andreas Brandenburger über Nachhaltigkeit in der Bekleidungsbranche – und welche Rolle Reißverschlüsse dabei spielen können

J-BIG: Wie eng stimmen Sie Ihre Aktivitäten mit dem Headquarter in Japan ab? Gibt es hier eine globale Strategie, oder treffen sie Entscheidungen eher regional?

Andreas Brandenburger: Wir operieren sowohl „Bottom Up“ als auch „Top Down“. YKK ist in 70 Ländern aktiv und beschäftigt über 40.000 Mitarbeiter, wir organisieren uns aber stark über Landesgesellschaften und regionale Blöcke. Deutschland gehört dabei zum Block EMEA, also Europe, Middle East und Africa. Unsere Region erstreckt sich von England bis Moskau und von Skandinavien bis Südafrika – da gibt es natürlich enorme lokale Unterschiede zwischen den Märkten. Wir haben einerseits traditionelle westeuropäische Märkte wie Frankreich, Großbritannien oder Deutschland, wo es viel um Erneuerung und Innovation geht, und andererseits Länder wie die Türkei oder Rumänien – erstarkende Märkte im Bereich von Standard-Bekleidung, in denen noch immer viel Produktion stattfindet.

Selbst globale Trends betreffen also nicht alle Märkte in gleicher Weise, und hier ist regionales Denken und Handeln sinnvoll. Wir haben in Deutschland ein eigenes Investitionsbudget, einen eigenen Personalplan, eine eigene Verkaufsstrategie, und natürlich eigene Kunden. Die Maßgabe ist, dass jedes Schwesterunternehmen für sich und für sein Land eine Strategie entwickelt, um aus der Landesgesellschaft eine florierende Firma zu machen.

Vorgaben von Japan nach Deutschland oder EMEA betreffen eher Themen wie Qualität, Arbeitssicherheit, die Struktur der einzelnen Companies oder auch Branding und Marketing-Richtlinien. Japan hat auch bei übergeordneten Themen wie Nachhaltigkeit das Ruder in der Hand – gemeinsam mit anderen starken Landesgesellschaften entwickelt das Headquarter nachhaltige Produkte und schafft global die dafür nötige Produktionsstruktur. Auf der anderen Seite kann es passieren, dass eine lokal entwickelte Innovation wie schwer entflammbare Behördenbekleidung global ausgerollt wird. Da gibt es einen dynamischen Austausch in beide Richtungen, und jeder Markt kann sich auf seine Spezialitäten fokussieren.

Das Verhältnis zwischen dem japanischen Headquarter und den deutschen Niederlassungen ist für Björn Eichstädt immer interessant zu beobachten

J-BIG: Gibt es auch auf personeller Ebene Austausch zwischen Japan und Deutschland?

Andreas Brandenburger: Wir profitieren sehr stark von einem jährlichen Rotationsmodell, das unsere japanischen Kollegen absolvieren – die klassischen Expats, die man ja aus vielen japanischen Unternehmen kennt. Das, was unsere japanischen Manager hier lernen, ist nicht die deutsche Sprache, sondern eher die deutsche Kultur und Arbeitsweise. Dieses Faible für Genauigkeit, oder auch die technische Ausrichtung. Dieses Wissen nehmen sie dann in eine neue Position oder in andere Verantwortungsbereiche mit, und andersrum bringen Mitarbeiter aus Japan, Nordamerika oder einem anderen Standort mit frischen Wind zu uns. Solche Veränderungen haben immer einen positiven Effekt und stärken die Zusammenarbeit.

J-BIG: Wie läuft die Kommunikation abseits von Corona ab?

Andreas Brandenburger: Neben einer Produktion in Kurobe sitzt in Japan noch unser Headquarter in Tokyo. Vor Corona – und hoffentlich auch danach wieder – finden hier normalerweise jährliche Meetings statt, an denen wichtige Vertreter aus allen fünf regionalen Blöcken teilnehmen. Auch Märkte oder Personen, die eine außergewöhnliche Leistung vollbracht haben, werden hierzu eingeladen; entweder um etwas Neues zu lernen oder um etwas zu präsentieren.

In der grundsätzlichen Kommunikation filtert unsere EMEA-Struktur allerdings einiges, und wir haben nicht immer eins zu eins mit Japan zu tun. Für globale Themen, wie zum Beispiel Marketing, Patente, IT und Compliance, steuert das  Headquarter in Japan die Struktur und die Implementierung. In solchen Angelegenheiten ist die Unternehmensgröße und die Struktur, die aus Japan vorgegeben wird, sehr wertvoll.

Die Kommunikation zu COVID-Zeiten ist ungewöhnlich – nicht nur für J-BIG, sondern auch innerhalb der YKK-Gruppe

J-BIG: Gibt es einen Bereich in Ihrem Arbeitsalltag, in dem die japanischen Wurzeln von YKK besonders zum Tragen kommen?

Andreas Brandenburger: Am stärksten ist dieser Einfluss vermutlich in unserer Unternehmens-Philosophie zu spüren. Diese ist geprägt von der Idee des Cycle of Goodness, dargestellt durch eine symbolische Darstellung der gemeinsamen Interessen zwischen Kunden Lieferanten und der Umwelt. Unser Firmengründer Tadao Yoshida hat dieses Konzept entwickelt, und es spielt bis heute eine wichtige Rolle bei YKK – auch in Deutschland. Die Idee ist einfach: Uns kann es nur gut gehen, wenn es unseren Kunden, unserer Umwelt und unseren Mitarbeitern gut geht. Da zeigt sich sehr deutlich die japanische Mentalität, die ja sehr auf ein gutes Miteinander und eine ganzheitliche Sicht auf die Dinge ausgelegt ist – geschäftlich wie privat.

In der Praxis äußert sich das zum Beispiel darin, dass uns Qualität und Sicherheit extrem wichtig sind. Für den Fall, dass geliefert wird und wir den Verdacht haben, dass ein Reißverschluss nicht unseren internen Standards entspricht, wird er zurückgerufen – mit aller Konsequenz. Dabei kann es passieren, dass wir bei Kunden selbst das Lager durchforsten, um die fehlerhaften Produkte zu finden. Und wir wenden große Mühe auf, um unsere Produkte ganz klar zu erklären und für alle Nutzer sicher zu machen. Dieser Qualitätsanspruch war schon immer das Herausstellungsmerkmal von YKK, und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.

 

 
 

 

03 VERMISCHTES

Antworten von Nintendos ehemaligem CEO

 

Satoru Iwata war bis zu seinem Tod CEO von Nintendo. Im Jahr 2015 starb er überraschend früh und hinterließ als Erbe nicht nur erfolgreiche Plattformen wie das Nintendo DS oder die Wii, sondern auch reichhaltige Führungsprinzipien, Innovationsansätze und Business-Erkenntnisse.

Das Buch „Frag Iwata“, das vor kurzem auf Deutsch erschienen ist, fasst in einem schönen Band die wichtigsten Stationen Iwatas ebenso zusammen, wie es seinen reichen Erfahrungsschatz auf den Punkt bringt. Für Nintendo-Fans ist das Buch dabei ebenso interessant wie für Führungskräfte und unternehmerisch denkende Leser. Eine absolute Empfehlung von J-BIG! 

Gewinnspiel: freundlicherweise hat uns der FinanzBuch Verlag für die Leser von J-BIG zwei Exemplare der deutschen Ausgabe „Frag Iwata“ zur Verfügung gestellt. Wenn Sie eines davon gewinnen möchten, schicken Sie eine E-Mail an redaktion@j-big.de und nennen Sie in der Betreffzeile den Namen des Bruders von Super Mario.

 

 

High-Tech mal ganz flauschig: Die Familie der niedlichen Roboter

 

Eine Liebe zu Technik, Plüschtieren und den skurrilen Kreaturen aus den Filmen von Studio Ghibli – das ist die treibende Kraft hinter dem japanischen Unternehmer Shunsuke Aoki und seine Firma Yukai Engineering. Seine Mission: Flauschige Freunde zu erschaffen, die Spaß machen und Menschen dabei helfen, ihre Ziele zu erreichen. Sei es gesundheitliches Wohlbefinden, der Kampf gegen Einsamkeit oder der Traum von einer Robotik-Karriere. Für unseren Medienpartner 1E9 führten J-BIG Redakteure Björn Eichstädt und Nina Blagojevic ein Interview mit dem CEO und Gründer. Lesen sie hier, warum die Welt niedliche Roboter braucht – und wie Shunsuke Aoki diesen Traum in die Tat umsetzt.

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