Spitalplanung unter neuem Recht

Leitentscheid des Bundesgerichts

In einem Leitentscheid vom 10. Juli 2012 befasst sich das Bundesgericht erstmals vertieft mit dem Inhalt und den Grenzen der Spitalplanung unter dem revidierten KVG. Gegenstand des Urteils bildet eine Beschwerde, welche gegen eine Änderung des Tessiner Einführungsgesetzes zum KVG vom 17. März 2011 erhoben wurde.

Mit seinem Entscheid trifft das Bundesgericht wichtige Weichenstellungen für die Ausarbeitung weiterer kantonaler Spitalplanungs- und Spitalfinanzierungsgesetze, welche gemäss Gesetz bis 2014 ans revidierte KVG anzupassen sind. Das Bundesgericht billigt den Kantonen in seinem Entscheid einen grossen Ermessenspielraum zu und schränkt die Bedeutung von Wettbewerb und Wirtschaftsfreiheit im Bereich der OKP weitgehend ein.

Im Einzelnen qualifizierte das Bundesgericht insbesondere Bestimmungen zu den folgenden Punkten als bundesrechtskonform:

1. Mengensteuerung
Das kantonale Gesetz sieht vor, dass in den Leistungsaufträgen maximale Leistungsmengen festzulegen sind. Werden diese überschritten, so werden die darüber hinausgehenden Leistungen nur zu 20 % vergütet. Das Bundesgericht führt dazu aus, Ziel der Spitalplanung sei u.a. die Sicherstellung der Versorgung sowie die Kostenbegrenzung. Die Fallpauschalen hätten für sich keinen kostendämpfenden Effekt. Es müsse dem Kanton daher auch unter der neuen Leistungsfinanzierung gestattet sein, die Menge der vergütungspflichtigen Leistungen zu begrenzen. Daraus ergebe sich auch, dass eine Reduktion der Vergütung bei Überschreitung der Maximalmengen zulässig sei. Ob eine Mengensteuerung weiterhin (auch) durch die Begrenzung der Bettenzahlen zulässig ist, und ob die Mengensteuerung sich auch auf ausserkantonale Patienten beziehen darf, hat das Bundesgericht offen gelassen.

2. Globalbeiträge
Das Bundesgericht bestätigt, dass es zulässig ist, wenn der Kanton seine Vergütungen an die Spitäler in Form eines Globalbeitrages auszahlt, anstatt jede Leistung einzeln abzugelten. Ein Globalbeitrag stehe zwar in einem gewissen Widerspruch zum Prinzip der Leistungsfinanzierung. Der Gesetzgeber habe diesen Widerspruch jedoch in Kauf genommen, indem er Art. 51 KVG (welcher Globalbudgets als Finanzierungsinstrument vorsieht) unverändert im Gesetz belassen habe.

3. Mindestaufnahme von 50 % Patienten ohne ZV
Das kantonale Gesetz sieht vor, dass die (ebenfalls im Gesetz vorgesehene) Aufnahmepflicht erfüllt ist, wenn das Spital mindestens 50 % Patienten ohne Zusatzversicherung behandelt hat. Das Bundesgericht stützt diese Bestimmung und führt dazu aus, die Planungskompetenz der Kantone beziehe sich auch auf die halbprivaten und privaten Spitalabteilungen, soweit in diesen Abteilungen Leistungen erbracht werden, die von der Grundversicherung bezahlt werden. Daraus ergebe sich, dass auch eine Begrenzung der (vergütungspflichtigen) Leistungen in halbprivaten und privaten Abteilungen zulässig sei.

4. Begrenzung der Investitionen
Gemäss kantonalem Gesetz gelten als Investitionen, die bei der Berechnung des Globalbeitrages zu berücksichtigen sind, nur die Gebäude und Einrichtungen, die für die Erfüllung des Leistungsauftrages erforderlich sind. Das Bundesgericht hält fest, dass mit dieser Bestimmung keine Bewilligungspflicht für Investitionen eingeführt werde; eine solche wäre zumindest bei Privatspitälern mit Blick auf die Wirtschaftsfreiheit problematisch. Werde die einleitend genannte Bestimmung zur Berücksichtigung von Investitionen nur als Instrument zur Qualitätskontrolle und für die Berechnung der Globalbudgets verstanden, so sei sie zulässig.

5. Ausbildung nicht-universitären Personals
Das Bundesgericht lässt durchblicken, dass die Verpflichtung, eine Min-destzahl von Ausbildungsplätzen für nicht-universitäres Personal anzubieten, zumindest im Bereich der Privatspitäler problematisch wäre. Indes sei es zulässig, wenn die Vergütungen jener Spitäler, die keine Ausbildungsplätze anbieten, verhältnismässig herabgesetzt werden.

6. Einhaltung branchenüblicher Arbeitsbedingungen
Das Bundesgericht bestätigt seine Praxis, wonach der Kanton staatliche Hilfen (hier: die kantonalen Beiträge an die Behandlungskosten) von der Einhaltung der in Gesamtarbeitsverträgen vorgesehenen Bestimmungen abhängig machen darf.

Fazit
Mit seinem Leitentscheid knüpft das Bundesgericht an seine frühere Praxis an, wonach die Kantone im Bereich der Spitalplanung weitgehendes Ermessen geniessen und die Bedeutung der Wirtschaftsfreiheit (auf welche sich zumindest Privatspitäler berufen können) im Wesentlichen auf das Verbot der Willkür beschränkt ist. Wenig Beachtung schenkt das Bundesgericht dem Wettbewerbsgedanken, dem der Gesetzgeber mit der neuen Spitalfinanzierung höheres Gewicht einräumen wollte. Mit seinem Urteil leistet das Bundesgericht einer weitgehenden Bürokratisierung des Spitalmarktes Vorschub, was gerade aus Sicht innovativer und qualitativ gut arbeitender Spitäler zu bedauern ist.

Immerhin lässt das Gericht erkennen, dass dem Ermessensspielraum der Kantone auch Grenzen gesetzt sind. So erscheinen etwa Eingriffe in Investitionsentscheide oder Bestimmungen mit Reflexwirkungen auf die Leistungserbringung im Zusatzversicherungsbereich als kritisch. Neue kantonale Planungsmassnahmen werden daher weiterhin im Einzelfall auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesrecht zu prüfen sein. Leistungserbringern steht dabei gegen kantonale Spitalplanungsgesetze die Überprüfung durch das Bundesgericht und gegen Verfügungen über die Aufnahme in eine Spitalliste die Anfechtung beim Bundesverwaltungsgericht offen.

Entscheid des Bundesgerichts vom 10. Juli 2012 (2C_796/2011)

Autor

Michael Waldner, LL.M.

Rechtsanwalt
mwaldner@vischer.com

VISCHER AG