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MEHR QUALIFIZIERTE ZUWANDERER

Dolmetscher für Gemeinden und Krankenhäuser, Videotraining für Migranten, Nachbarschaftsprojekte - eine lange Liste von Best-Practice-Beispielen zur Integration enthält Band 3 von "Migration & Integration - Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Praxis", der soeben bei omninum erschienen ist. Herausgeberinnen sind Gudrun Biffl und Lydia Rössl von der Donau-Universität Krems. 

Zahlreiche Autoren aus Praxis und Wissenschaft haben für dieses Buch Beiträge verfasst.

Das Bild von Migranten hat sich geändert. Früher kamen - und gingen - "Gastarbeiter". Heute erfolgt der Zuzug häufig durch Flucht oder Familienzusammenführung. Vermehrt strömen qualifizierte Zuwanderer nach Österreich.

Einst zogen die Einwanderer aus wenigen und ganz bestimmten Ländern nach Österreich, heute aus allen Kontinenten. Und es kommen mehr gut ausgebildete Frauen.

Nachstehend einige Praxisbeispiele aus dem Buch.

Praxisbeispiel: Laien-Dolmetscher für Alltagssituationen

NEU: Band 3 von "Migration & Integration".

Bei Gerichten ist für sachverständige Dolmetscher längst vorgesorgt. Anders ergeht es Einwanderern in Alltagssituationen. In einem Buchbeitrag wird beschrieben, wie in der Region Gmunden-Vöcklabruck Laiendolmetscher ausgebildet werden.

Sie müssen sprachlich versiert sein und die regionalen Gegebenheiten kennen. Ein Lehrgang war umgehend ausgebucht. Die Organisatoren wollen eine Liste von Dolmetschern erstellen und sie allen regionalen Institutionen zur Verfügung stellen.

Praxisbeispiel: Selbstvertrauen durch Videos

Ein anderes Beispiel zur Integration, das im Buch beschrieben ist,  geht auf "partizipative Videotrainings" ein. In Workshops lernen Migranten, mit der Kamera ihre eigene Situation und Geschichte zu reflektieren und im Film festzuhalten. 

"Viele Menschen haben aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation wenig Möglichkeit, gehört zu werden und ihre Stimme zu erheben", heißt es im Buch. Die Teilnehmer in den Video-Workshops erwerben Kompetenzen, lernen mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und gewinnen Selbstvertrauen.

Praxisbeispiel: Gesundheitskultur verstehen

Einwanderer sind mit dem österreichischen Gesundheitssystem nicht vertraut, setzen oft auf andere Behandlungen und haben häufig traumatische Erlebnisse hinter sich. So weisen etwa "Mädchen aus traditionell orientierten Familien eine höhere Suizidgefährdung auf", schreibt eine Medizinanthropologin im Buch. Eingewanderte Frauen haben häufiger Komplikationen bei der Geburt oder Schwangerschaft.

Zuwanderung aus Asien führt zu einer "Feminisierung" der Migration. Die Heilungskonzepte, die diese Einwanderinnen mit sich bringen, "unterscheiden sich meist grundlegend vom naturwissenschaftlichen Paradigma der westlichen Medizin".

Praxisbeispiel: Migranten seltener geimpft

Die gesundheitliche Situation von Migranten ist anders als in der angestammten Bevölkerung.

Eine im Buch angeführte Befragung von Personen mit Hauptwohnsitz in Österreich hat beispielsweise ergeben, dass die angestammte Bevölkerung im Vergleich zu Einwanderern aus der Türkei (Erwachsene) einen niedrigeren Body-Mass-Index (25,5 vs. 26,5) aufweist, häufiger gegen Tetanus (68% vs. 37%) und FSME geimpft ist  (69% vs. 20%) und öfter Mammographien (31% vs. 15%)  durchführen lässt.

Praxisbeispiel: Wörterbuch für Krankhaus

Fremdsprachigkeit kann zur Folge haben, dass Patienten weniger Untersuchungstermine wahrnehmen, heißt es in einem weiteren Buchbeitrag. Andererseits werden bei Zuwanderern häufiger diagnostische Untersuchungen wahrgenommen. Sprachprobleme können zu Fehldiagnosen führen.

Das Salzburger Landeskrankenhaus setzt deshalb auf einen eigenen Dolmetschdienst und ein medizinisches Wörterbuch in zwölf Sprachen, geht aus dem Buch hervor. 

Praxisbeispiel: Eingewanderte Eltern in Schule integrieren

Schulen berichten, dass es oft schwierig sei, Kontakt mit Eltern aus Zuwandererfamilien aufzunehmen. Im Buch ist ein vorbildliches Integrationsbeispiel aus Graz dargestellt.

In der Schule finden Deutschkurse, Lehrer- und Familien-Workshops statt. Integrationsthemen, die die Eltern in ihren Veranstaltungen behandeln, werden zeitgleich mit Kindern spielerisch erarbeitet.

Praxisbeispiel: Migranten im Pflegedienst

Viele Migranten interessieren sich zwar für einen Beruf im Pflegedienst, aber verhältnismäßig wenigen gelingt es, einen solchen auszuüben. Die Ursache dafür sind falsche Erwartungen über den Beruf, mangelhafte Deutschkenntnisse und ein "angekratztes" Selbstvertrauen.

Im Buch ist ein Vorbereitungskurs als Best-Practice dargestellt. Die Teilnehmer stärken damit ihre Deutschkenntnisse, erfahren mehr über das Berufsfeld und gewinnen Selbstvertrauen.

Praxisbeispiel: Erhöhte Gefahr der Spielsucht

Migranten geben etwa doppelt soviel Geld für Glücksspiele aus wie die angestammte Bevölkerung. Sie sind "insbesondere bei den Automatenspielen überrepräsentiert", heißt es im Buch.

Besonders gefährdet von Spielsucht sind junge Männer mit Migrationshintergrund. Spielsucht führt zu Arbeitsproblemen, Beziehungsproblemen und psychosomatischen Veränderungen. Im Buch ist angeführt, wie ein Verein in Graz spielsüchtigen Migranten hilft.

Praxisbeispiel: Frauenförderung am Land

"In 48 Leibnitzer Gemeinden gibt es aktuell null Bürgermeisterinnen und zwei Vizebürgermeisterinnen. Der Gemeinderat ist männlich", schreiben zwei Autorinnen aus der Südsteiermark in einem feministischen Beitrag.

Im ländlichen Raum sei es für Migrantinnen besonders schwierig, Deutschkurse zu besuchen. Auch gebe es zu wenig Kinderbetreuungsplätze. Ein örtlicher Verein schließt diese Lücke mit Veranstaltungen und Beratungen.

Praxisbeispiel: Kooperation von Gemeinden

"Trotz aller Bemühungen der EU, mittels Förderungen aus dem Kohäsionsfonds die räumlichen Unterschiede in der Wirtschaftskraft und der Lebensqualität zu verringern, nehmen die regionalen Disparitäten in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten nicht ab, sondern z. T. sogar zu", schreibt Mitherausgeberin Gudrun Biffl im Buch.

Biffl führt intelligente regionale Initiativen an, die den ländlichen Raum stärken. So geht sie beispielsweise auf 26 Osttiroler Gemeinden ein, die in einem Zusammenschluss flexible Ganztagsbetreuung für Kinder vom Säuglingsalter bis zu 12 Jahren anbieten.

Praxisbeispiel: Nachbarschaftliches Zusammenleben

Migranten leben meist auf weniger und schlechterem Wohnraum, zahlen dafür aber höhere Preise. Im Buch ist das Vergabesystem von Bregenz dargestellt, das auf ein transparentes Punktesystem setzt. Behandelt werden auch Diskriminierungsverbote bei der Vermietung. Und ein Siedlungssoziologe geht auf die Integration im Wohnbereich ein.

Das Buch führte eine Reihe modellhafter Wohn- und Nachbarschaftsprojekte an, etwa aus Wien, Tirol und Niederösterreich oder die "Charta des Zusammenlebens in Vielfalt" in der Steiermark.

Buchdaten und Rezensionsexemplare

"Migration & Integration - Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Praxis" Band 3

Hg.: Gudrun Biffl, Lydia Rössl

255 Seiten | 37,90 EUR | ISBN 978-3-99031-011-3 | Redaktionsschluss Dez. 2012 | Verlag omninum

Website zum Buch: www.migrationundintegration.at

Rezensionsexemplare stellen wir Redaktionen gerne zur 'Verfügung (office@omninum.com, Tel. 02256-20437-73).

Cover-Foto